Goldgelbe Strände aus pulverfeinem Sand und ein wüstenhaftes Inselinneres zeichnen die kanarische Insel Fuerteventura aus. Mittlerweile ist das spanische Eiland zu einem ganzjährigen Urlaubsziel geworden. Tipps von Einheimischen gibt es beispielsweise bei einem Friseurbesuch beim „Haarkünstler“ Luis in Morro Jable.
Der drahtige Mann trägt die Haare kurz, dazu einen grau melierten Vollbart und einen Knopf im Ohr für den Mediaplayer. „Peluqueros Glamour“ ist auf die Ladentür gemalt – „Haarkünstler“. Ein etwas hochtrabender Titel angesichts der drei gelben Lederstühlchen und der eher kargen Innenausstattung. Aber sympathisch ist der Typ. Und weil ich Friseurbesuche im Ausland sammele wie andere Urlauber Schneekugeln oder T-Shirts, betrete ich forsch den „Salon Luis“ und grüße in meinem Bruchstück-Spanisch: „Hola, senor! Uno operation, por favor.“ Der Chef des Salons stellt sein leichtes Tänzeln ein, zieht den Stöpsel aus dem Ohr und raunt mir mit einem breiten Grinsen zu: „Hola, senor! Uno operation? No problema.“
Ort des Eingriffs ist Morro Jable auf der Halbinsel Jandia im Inselsüden von Fuerteventura. In nur vier Jahrzehnten ist aus dem verträumten Dörfchen eine Schlaf- und Wohnstadt für Tausende Angestellte in den Hotels der Insel geworden. Deshalb wird der Lebensrhythmus in Morro nicht nur von Touristen bestimmt. In den Restaurants und Kneipen am kleinen Fischerhafen und in den Läden, die Dinge des täglichen Bedarfs verkaufen, sind die Einheimischen in der Überzahl.
Künstler Luis, der inzwischen mit einer Haarschneidemaschine rund ein Drittel meines Schopfes rigoros abgemäht hat, ist ein lockerer Typ. „Waren Sie schon in der Markthalle? Im El Pinoco gibt es die leckersten Tapas. Sardinen und Tintenfisch, Schinken, Ziegenkäse, Pimientos und Oliven. Und natürlich ein Fläschchen Rioja.“ Das ist der wunderbare Nebeneffekt eines Friseurbesuchs in der Fremde: Man bekommt zur Kopfmassage auch die guten Tipps über seinen Urlaubsort. Aus erster Hand. Dass der Besitzer im El Pinoco der Schwager von Luis ist – und wenn schon, solange die Häppchen wirklich prima sind.
„Markenzeichen“ dieser kanarischen Insel sind die Kontraste der Landschaft: Goldgelbe Strände aus pulverfein zerriebenen Muschelschalen und anderem Meeresgetier wie am 20 Kilometer langen Sotavento Beach locken Sonnenhungrige zu jeder Jahreszeit. Im wüstenhaften Inselinneren hingegen spürt man die Nähe Afrikas. Wenn man sich einlässt auf die Geröllfelder und Vulkankegel, erkennt man eine asketische Schönheit: Berge, die zu jeder Tageszeit in anderen Rottönen leuchten. Blühende Kakteen, die der Kargheit trotzen. Riesige Sanddünen, die in ihre Einsamkeit einladen.
Der Nordwestpassat sorgt für eine ständige und oft gehörig steife Brise. Nicht umsonst ist Fuerteventura (das bedeutet „starke Winde“) Ausrichter im World Cup der Speed-Surfer und zugleich ein Dorado für Katamaran-Segler. Wer will, findet gerade in Jandia jede Menge Action: Tauchkurse und Haifischtouren, Tennis und Beachvolleyball, Fitnesstraining von Aerobic am Hotelpool bis zur Party im „Oberbayern“. Die Renner im Ausflugsangebot sind Jeep-Safaris auf Schotterpisten zum Leuchtturm am Südzipfel und weiter über den Roque del Morro an die raue Westküste nach Cofete. Ein Offroad-Abenteuer mit alpinem Charakter, das auf den Höhen fantastische Ausblicke auf zwölf Kilometer Sandstrand und schäumende Atlantik-Wellen bietet.
Beim Plaudern hat Luis wirklich ganze Arbeit geleistet, wie ich beim Blick in den Spiegel sehe. „Kurz, kurz, kurz. Das ist das Beste, was wir bei Ihnen machen können, senor,“ sagt er. Gut, dass ich eine Baseball-Kappe als Sonnenschutz dabei habe. Oben ohne bin ich doch ganz schön empfindlich. Auch wenn der Himmel bei herrlichen 26 Grad wolkenverhangen ist und die Sonne oft erst nachmittags richtig knallt.
Bei einem Eistee verrät mir Luis noch, wo die besten Tauchgründe im Inselsüden sind. „Am Leuchtturm ins Wasser und dann 300 Meter Richtung Afrika“. Und er erzählt, dass er vor 36 Jahren aus Barcelona vom Festland nach Morro gezogen ist. „Damals standen hier nur der Robinson Club und zwei, drei andere Hotels. In Es Quinzo, sechs Kilometer weiter nördlich, gab es nur zwei Apartmentanlagen mitten in der Mondlandschaft. Damals war die Straße vom Flughafen Puerto del Rosario noch gar nicht ausgebaut. Viele Urlauber waren bei der Ankunft an ihrem Urlaubsort richtig entsetzt und wollten erst gar nicht aus dem Transferbus klettern. Und heute? Heute gibt es zusätzlich zur Asphaltstraße auch noch ein Autobahnstück mit einer riesigen Talbrücke. Das ist irre! Macht zwölf Euro, senor.“ Zwei Euro wandern ins Trinkgeld-Schwein. Adios. Gracias. Operation gelungen.
Abends um 23 Uhr im „San Borondon“, einem urigen Lokal in einem alten Dampfschiff aus dem 19. Jahrhundert. Dicke Schinken und Knoblauchsträuße baumeln von der Decke. Leise Gitarrenklänge mit „Guantanamera“ wehen durch die rauchige Kneipenluft. „Möchten Sie noch einen Eistee?“, fragt ein Mann hinter mir. Als ich mich umdrehe, steht da Luis, mein Haarkünstler. Er lacht, schwenkt ein großes Bier, schaut auf meine Kopfhaut und ruft seinen Kumpanen an der Theke zu: „Sieht er nicht absolut super aus? Salud!“
Erschienen in den Ruhr Nachrichten am 16. Juli 2014: Tipps vom Haarkünstler