Adventszeit in Mexiko.
Ein Wintersonntag in Mexiko. Die ersten Sonnenstrahlen blinzeln über den Glockenturm der mächtigen Kathedrale von Izamal und bescheren der Bronzestatue des Papstes ein sanftes Erwachen. Sieben Uhr, blauer Himmel, 21 Grad. Advent auf der Halbinsel Yucatan.
„Jingle Beils“ dudelt aus einem schnarrenden Radio. Verschwörerisch winkende Händler mit Bauchladen, in dem Heiligenfigürchen in Farben von Knallgelb bis Strahlendrot schillern, wieseln den ersten Touristen des Tages entgegen und hoffen auf Dollars. Frauen, noch in dicke Ponchos gehüllt, sind schon Stunden vor Beginn der Heiligen Messe im Innenhof des Franziskanerklosters zusammen gekommen. Unter fröhlichem Palaver nähen sie ein Bildnis der Jungfrau von Guadeloupe, Mexikos Schutzheiliger, auf die Landesfahne. Sie essen Tortillas, trinken Kakao und freuen sich auf die Fiesta, die nach der Prozession auf alle wartet – mit dröhnendem Kirmesrummel und schwermütiger Mariachi Musik, mit Tanz und Feuerwerk, mit Schweinefleisch im Bananenblatt und reichlich Tequila.
Kitsch und Katholizismus, Aber glaube und Frömmigkeit, Ausgelassenheit und Ausrasten sind in Mexiko keine unversöhnlichen Kontraste. Auch der Kontakt zur Heiligen Jungfrau ist unverkrampft: Ihr Bildnis findet sich auf Goldkettchen und Badetüchern, am Rückspiegel im Auto und als Altar in der Kneipe. So kann „La Virgen“ schnell und unkompliziert um Hilfe gebeten werden. Fast 90 Prozent aller Mexikaner sind katholischen Glaubens. Vor allem auf dem Land sind die Menschen tief religiös – es ist eine oft sehr naive Gläubigkeit gemischt mit indianischen Riten.
Gedankenversunken schlendere ich weiter. Da trifft mich ihr Blick: Ein Mädchen in bunt bestickter Tracht sitzt auf den gewienerten Steinstufen und starrt mich an. Ihre dunkelbraunen, neugierigen Kulleraugen fragen: Woher kommst Du, Fremder?
Spanisch ist nicht meine Sprache, aber ein Lächeln ist international und über all auf der Welt die kürzeste Verbindung zwischen den Menschen.
Was dann folgt, ist ein Marktbummel mit Carmen, sieben Jahre alt, und ihrem großen Bruder José. Wir fotografieren uns gegenseitig zwischen Nikolausmasken und Funkelsternen, vor einer Pyramide tropischer Früchte, hinter Bergen von grünem Chili, unter Knoblauchzöpfen und neben gurgeln den Truthähnen. Ein Verkäufer nebenan klatscht Beifall und präsentiert seine teuren Raritäten: echte Tannenbäume, die ein kleines Vermögen kosten. Selbst ein Mini-Plastikbäumchen mit Lichterkette kommt auf 200 Pesos, rund elf Euro. Zu viel für Carmens Eltern, denn die haben acht Kinder – und der Vater keine Arbeit.
An Heiligabend wird die Großfamilie in ihrem bescheidenen Haus sitzen, im Kerzenschein „Noche sagrado y calma“ singen – wie die Kinder in Deutschland „Stille Nacht, heilige Nacht“. Kleine Geschenke bekommen die Mädchen und Jungen in Mexiko aber erst am Tag der Heiligen Drei Könige.
Nur den Karton mit einem Tannenbaum, den der Mann aus Alemania zurück lässt, den dürfen sie schon zum Weihnachtsfest auspacken. Feliz Navidad, Carmen. Und Gracias für diesen fröhlichen Advent im fernen Mexiko. Dein Lächeln werde ich nicht vergessen.
Erschienen im Berliner Kurier am 28. November 2015: Advent bei 21 Grad