Insel 74

Die Tage zwischen den Jahren: Zeit für Rückblicke. Zeit für Erinnerungen,
auch an Ferien. Also: Ab auf die Couch, die Beine hoch und
im alten Foto-Album gestöbert. „Insel 74” steht da mit dickem,
schwarzem Filzstift auf Seite eins. Urlaub auf Formentera, der kleinen
Nachbarinsel von Ibiza.


Mehr als 40 Jahre ist das nun her, doch schon der erste Schnappschuss
ruft sofort Begegnungen mit Schönheiten am Mittelmeer
wach: Die Sandstrände hinter den Salinen, weiß und fast menschenleer.
Ganz schön gut gebaut, die Uli. „Fonda Pepe”, die
legendäre Kneipe, war Treffpunkt für Hippies, die sich ihre Paella
mit riesigen, selbst gemalten Bildern verdienten. Da sind sie ja, die
Jungs mit ihren Löwenmähnen, schlabbrigen Klamotten und bunten
Halsketten.
Abends, so ab elf, lockte eine Garten-Disco zum Schmusetanz mit
„Angie”, dem Hit der Rolling Stones, oder zur Reggae-Nacht unter
den Sternen. Das Blitzlicht hat funktioniert: Den Namen der Lady
in meinem Arm weiß ich nicht mehr. Nur, dass sie unglaublich nach
Knoblauch roch und wir vor dem Morgengrauen friedlich „Adios”
sagten.
Und hier, am Hafen von Es Caló, lacht José, der Fischermann. Stolz
hält er seinen Fang in die Kamera. „Leckerrrr” – das war das einzige
deutsche Wort, das er kannte. „Leckerrrr” – so grüßte er fröhlich
zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und da, in der Strandbude der
Cala Pujols, winkt die zottelige Aussteigerin, die uns Touris für ein
paar Peseta dicke Thunfischbrote verkaufte. Wie es ihr wohl ergangen
ist?
Buch zu. Mein Blick fällt auf den Tannenbaum. Unter den Weihnachtsgeschenken
ist ein I-Phone und ein Foto-Album. Während
ich mit einem dicken schwarzen Filzstift „Sizilien 15” auf die Seite
eins male, frage ich mich: Welche Menschen, welche Melodien, welche
Fotos wird es mir wohl bescheren, das neue Jahr?

Erschienen in Clever Reisen 01/16: Insel 74