Schluchtengehen

Flotte Umkleide-Aktion in Frankreichs freier Natur. Kumpel Jochen fotografiert und frotzelt: „Mach’s schön langsam, alter Junge, sonst wird der Schnappschuss unscharf. Aber lass bloß die Badehose an!“ Fünf Freunde haben Spaß. Noch.

Canyoning steht auf dem Programm – und das freiwillig! Zitat aus dem Prospekt: „Wer schwimmen kann, keine Höhenangst hat und eine allgemein gute körperliche Kondition aufweist, ist willkommen.“ Wenn’s weiter nichts ist. Also auf zum „Schluchtengehen“!

T-Shirt runter, raus aus den Jeans. Es folgen akrobatische Einlagen, um sich in diese grauen, viel zu engen Neopren-Tauchanzüge zu zwängen. Mit rutschfesten Bergstiefeln an den Füßen und dummen Sprüchen auf den Lippen stehen wir schließlich startbereit und schon schweißgebadet am Fuß des 3350 Meter hohen „Mont Perdu“ („der Verlorene“) in den Pyrenäen. Wie eingequetschte Seelöwen tapern wir zu einem Felsvorsprung. Au Backe! Allein beim Blick in die Tiefe durchwühlt mich ein ordentlicher Adrenalinstoß. Dunkel ist’s da unten, sehr dunkel.

„Oui, oui – is eine bischen sär gutt Fütter für Dein Nerven“, ruft Philippe. Der Kerl hat gut lachen. Er steht in einer duftenden Lilienwiese, hat die warme Mittagssonne im Rücken und wartet nur auf unseren Absprung. Später wird er uns mit dem Jeep wieder einsammeln – 600 Höhenmeter tiefer. Hoffentlich. Vielleicht wären wir doch lieber zum Shopping nach Toulouse oder zum Pilgerpfad ins nahe Lourdes gefahren? Zu spät. Klettergurt anlegen und 15 Meter tief abseilen. Adieu!

Jetzt gibt’s kein Zurück mehr. Unser Vorstoß in die glitschige Unterwelt nimmt seinen Lauf. Drei Stunden lang wandern wir still vor Staunen im seichten Wasser an bizarren Felsen entlang. Wir springen mutig in elf Grad kaltes Wasser und kriechen mühsam durch enge Höhlen. Nach und nach stellt sich ein kribbelndes Hochgefühl ein. Wir genießen die Licht- und Schattenspiele in unserer „Einbahnstraße“ und streicheln Salamander an der Felswand.

Geschafft! Fünf Freunde sitzen beim Sonnenuntergang vor dem Gasthof vom Monsieur Carotte. Käse, Baguette, Rotwein. C’est la vie. Alle sind groggy, aber glücklich. Schon beim zweiten Glas erheben sich unsere Erzählungen über die Faszination des Tages in schwindelnde Höhen. Anglerlatein ist nix dagegen.

Canyoning ist eine tolle Sache, echt. Sollten Sie unbedingt auch mal versuchen.

Guter Rat: Machen Sie’s ohne Badehose! Denn die hat unter dem Taucheranzug ganz fürchterlich gekniffen.

Erschienen in Clever Reisen 03/16: Schluchten gehen